Sprachstörungen/Aphasien bei Erwachsenen

Definition

Sprachstörungen im Erwachsenenalter sind in der Regel Aphasien. Aphasien sind zentrale Sprachstörungen, die linguistisch als Beeinträchtigung in den verschiedenen Komponenten des Sprachsystems (Phonetik/Phonologie, Semantik/Lexikon, Morphologie/Syntax, Pragmatik) zu beschreiben sind.

Die aphasischen Störungen erstrecken sich auf alle expressiven und rezeptiven Modalitäten, d.h. auf Sprechen und Verstehen, auf Lesen und Schreiben.

Als Aphasie bezeichnet man im deutschsprachigen Raum Störungen, die erst nach Abschluss des Spracherwerbs auftreten.

Ursachen

Bei folgenden Grunderkrankungen können Sprachstörungen/Aphasien auftreten:

  • Schlaganfälle (ischämische Insulte, Hirnblutungen)
  • Schädel - Hirn - Traumata
  • Hirntumore
  • Hirnoperationen
  • Cerebrale entzündliche Prozesse (z. B. Enzephalitis)
  • Degenerative Erkrankungen (z. B. Alzheimer)

Erscheinungsformen

Leitsymptome der Aphasie

1. Störungen der Lautsprache

Störungen der Wortwahl und Wortfindung
Ein Wort kann nicht mehr genannt werden, oder es wird statt dessen ein anderes Wort genannt (semantische Paraphasien oder Neologismen).

Störungen der Lautstruktur
Die Lautstruktur der Wörter ist fehlerhaft, so dass das Wort leicht verändert wirkt oder aber gar nicht mehr verständlich ist (phonematische Paraphasien oder Neologismen).

Störungen von Satzbau und Grammatik
Es kommt zu Satzabbrüchen oder zur Verkürzung von Sätzen im Sinne eines Telegrammstils; es kommt zu Wortstellungsfehlern im Satz oder zu morphologischen Fehlern, manchmal werden auch Sätze ineinander verschränkt oder Teile des Satzes verdoppelt.

Automatisierte Sprache
Im schwersten Fall wird bei Formulierungsversuchen immer wiederkehrend eine Silbe, ein Wort oder eine Redephrase geäußert, ohne dass dies kontrolliert werden kann. Es treten auch Echolalien auf, bei denen der Betroffene vom Vorredner Gesagtes zwanghaft wiederholt, oder es wird alles, was geäußert wird, mehrfach wiederholt (Perseverationen).

Störungen des Redeflusses
Manche Aphasiker haben eine übersteigerte Redeweise (Logorrhoe), andere eine verminderte, unflüssige Sprachproduktion mit starker Sprachanstrengung.

Sprachverständnisstörungen
Sprachverständnisstörungen können in ihrem Ausprägungsgrad sehr unterschiedlich sein und sich sowohl auf die Lautstruktur der Sprache als auch auf den inhaltlichen Gehalt oder den Satzbau auswirken.

2. Störungen der Schriftsprache

Lesen
Es können folgende Fehlerarten auftreten:

  • Einzelne Schriftzeichen können nicht sicher in Laute umgesetzt werden.
  • Wörter werden mit anderen Wörtern visuell/phonologisch verwechselt (z.B. Kanne Tanne).
  • Wörter werden mit semantisch ähnlichen Wörtern verwechselt (z.B. König Fürst).
  • Es kann außerdem die Fähigkeit zum Lesesinnverstehen gestört sein.

Schreiben
Beim Schreiben können ähnliche Fehler wie beim Lesen auftreten:

  • Einzelne Laute können nicht sicher in Schriftzeichen umgesetzt werden.
  • Das Zielwort wird mit einem anderen phonologisch/visuell ähnlichen Wort verwechselt.
  • Statt des Zielworts wird ein semantisch ähnliches Wort geschrieben.
  • Manche Aphasiker schreiben gut, ohne dass sie den Sinn des Geschriebenen erfassen können.

Neuropsychologische Begleiterscheinungen

Außerdem können folgende nichtsprachliche Symptome die Kommunikation zusätzlich beeinträchtigen:

  • Halbseitenlähmung (Hemiplegie/Hemiparese)
  • Gesichtsfeldausfall (Hemianopsie)
  • Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen
  • Gedächtnisstörungen und Antriebsstörungen
  • Wahrnehmungsstörungen
  • Veränderungen der Persönlichkeit
  • Rechenstörung (Dyskalkulie)

Die logopädische Behandlung

Ziel der Behandlung

Das allgemeine Behandlungsziel ist, dem Aphasiker sprachliche Kommunikation im Alltag wieder zu ermöglichen. Da eine sprachliche Rehabilitation im Sinne einer wirklichen Heilung meist nicht möglich ist, muss der Patient lernen, mit seinen reduzierten sprachlichen und/oder gestischen Ausdrucksmöglichkeiten Gesprächssituationen zu bewältigen, indem er die erlernten Strategien anwendet. Es werden nicht Wörter bzw. Sätze gelernt, sondern Sprachprozesse aktiviert und reorganisiert. Der Erfolg der logopädischen Therapie kann daher nicht nur an der Verbesserung der linguistischen Fertigkeiten des Patienten gemessen werden. Von entscheidender Bedeutung ist die Verbesserung der kommunikativen Kompetenz des Patienten, die sich positiv auf dessen allgemeine Lebensqualität auswirkt.

Behandlungsformen

Vor jeder Behandlung wird eine der Störung und dem Leistungsvermögen des Patienten oder der Patientin entsprechende logopädische Diagnostik durchgeführt, welche die sprachliche und kommunikative Leistung der Betroffenen umfasst. Danach werden entsprechende Therapieziele festgelegt, und die Behandlung wird in Einzeltherapie begonnen. Parallel dazu wird Angehörigenberatung durchgeführt. Teilweise gibt es Angebote für Gruppentherapien. Gegebenenfalls findet die Therapie in Intervallen und/oder als Intensivtherapie statt. Bei Transport- oder Gehunfähigkeit kann die Behandlung im häuslichen Bereich des Patienten erfolgen.

Zielbereiche

  • Wahrnehmung
  • Sprachverständnis
  • Sprachproduktion (Wortfindung, Grammatik, Aussprache)
  • Lesen/Schreiben
  • Störungsspezifische kognitive Fähigkeiten
  • Störungsspezifische Krankheitsverarbeitung
  • Kommunikationsfähigkeit
  • Angehörigenberatung

Zeitpunkt und Dauer der Behandlung

Die logopädische Therapie sollte so frühzeitig wie möglich beginnen, d.h. schon in der Akutphase, sobald es der Allgemeinzustand des Patienten erlaubt.

Eine Therapieeinheit beträgt in der Regel 45 Minuten (plus Vor- und Nachbereitungszeit). In Einzelfällen sind auch Therapieeinheiten von 30 oder 60 Minuten sinnvoll (in Abhängigkeit von der Therapiehäufigkeit und dem Leistungsvermögen des Patienten).

Die wöchentliche Therapiefrequenz ist abhängig vom Allgemeinzustand des Patienten und der Phase der Erkrankung und beträgt i. d. R.:

  • Akutphase: 3-5 mal pro Woche
  • Rehabilitationsphase: 3-5 mal pro Woche
  • Konsolidierungsphase: 2-4 mal pro Woche
  • Langzeitbehandlung: 1-2 mal pro Woche

Im Allgemeinen ist die Aphasietherapie ein langer und zeitaufwändiger Prozess, der von einigen Monaten bis hin zu mehreren Jahren dauern kann.